Naturwissenschaftler mit Bachelor-Abschluss haben schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und wenig Chancen auf ein Master-Studium – glauben viele. Robert Klapper, Studienkoordinator an der Universität Münster, kommt zu ganz anderen Ergebnissen.
War zu Zeiten der Diplom-Studiengänge alles besser? Die Studenten erreichten in hervorragend konzipierten und auf spätere Berufe optimal vorbereitenden Studiengängen innerhalb der Regelstudienzeit den Diplom-Abschluss und traten dann direkt hoch dotierte Stellen in Forschung oder Industrie an. Akademikerarbeitslosigkeit gab es nicht – schon gar nicht in den MINT-Fächern.
Und plötzlich drängen rudimentär ausgebildete Bachelor in die Arbeitslosigkeit. Wer keinen Job ergattert, quält sich schlecht oder gar nicht bezahlt von einem Praktikum zum nächsten, weil ausreichende Studienplatzangebote in Master-Studiengängen fehlen. So – könnte man meinen – hat die Bologna-Reform die Universitäts- und Arbeitslandschaft in den vergangenen Jahren überrollt. Aber stimmt das auch?
Eine aktuelle Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft wirft ein überraschend positives Licht auf die Entwicklung. Sowohl bei Studenten und Absolventen als auch bei Unternehmen schneiden die neuen Studiengänge nicht schlechter ab als die alten Diplom-Studiengänge. In etlichen Punkten lassen sich sogar deutlich positive Entwicklungen nachweisen.
Wie sehen die Erfahrungen aus, die wir an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Fachbereich Biologie mit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Strukturen gemacht haben?
Wir sind selbst erstaunt, wie gut und breit ausgebildet unsere Bachelor-Absolventen bereits nach sechs Semestern sind. Bei entsprechend entschlackten Studieninhalten lassen sich in diesem Zeitraum neben einer soliden naturwissenschaftlichen Grundausbildung auch überfachlicher Kompetenzerwerb, Auslandsstudien oder ein Betriebspraktikumund eine experimentelle Bachelor-Arbeit unterbringen. Dies geht aber nur, wenn sich die Lehrpläne auf exemplarischen Wissenserwerb fokussieren – und man nicht darauf aus ist, dass die Studenten enzyklopädisches Faktenwissen anhäufen.
In den experimentellen Naturwissenschaften sollten die Studenten bei der Erstellung der Bachelor-Arbeit einmal in eine echte Forschungsarbeit eintauchen. Das ist auch eine wichtige Grundlage bei der Entscheidung, ob ein Student weiterhin das Lernen im Forschungskontext auf sich nehmen will oder den ersten berufsqualifizierenden Abschluss als solchen nutzen und der Hochschule erst einmal den Rücken kehren möchte.
Die meisten Studenten wollen einen konsekutiven Master-Studiengang anschließen. So möchten in Münster über 90 Prozent der Absolventen aus den Biowissenschaften weiterstudieren. Unsere eigenen Befragungen haben ergeben, dass das nicht notgedrungen daran liegt, dass adäquate Jobs fehlten, sondern am fachlichen Interesse.
In den Naturwissenschaften sehen die Möglichkeiten zum Weiterstudieren gar nicht schlecht aus. Allein in den Biowissenschaften existieren im deutschsprachigen Raum über 540 Master-Studiengänge. Nahezu alle Bachelor-Absolventen haben eine realistische Chance auf einen Master-Studienplatz.
Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Ergebnissen der Studie des Stifterverbands. Sie belegt, dass die überwiegende Mehrheit der Bachelor-Absolventen ihr weiteres Studium sowohl in dem von ihnen angestrebten Fach als auch an der von ihnen favorisierten Hochschule aufnehmen kann. In Münster kommen in den Biowissenschaften auf rund 120 Absolventen pro Jahr 115 Master-Plätze. An vielen Hochschulen bleiben sogar etliche Plätze unbesetzt, da die Nachfrage zu gering ist.
Einige Hochschulen versuchen, sich durch sehr spezialisierte Master-Programme zu profilieren. Das birgt auch eine Gefahr: Unter Umständen wird mit zunehmender Spezialisierung die Auswahl möglicher Beschäftigungsfelder geringer.
Viele Master-Absolventen aus den MINT-Fächern streben eine Promotion an. Master-Absolventen ohne Doktortitel haben deshalb in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise einen schweren Stand. Denn die Wirtschaft hat inzwischen erkannt, dass die jungen Bachelor-Absolventen gut ausgebildet sind – das notwendige Spezialwissen wird ihnen ohnehin firmenintern vermittelt –, dafür aber preiswerter als die Master sind. Für leitende Positionen werden in den meisten Fällen weiterhin promovierte Mitarbeiter gesucht, bei denen es keine Rolle spielt, ob sie vorher noch ein Diplom oder schon einen Master erworben haben.
Die Wirtschaft prognostiziert seit Langem einen Fachkräftemangel in den MINT-Fächern. Hier muss zwischen den einzelnen Naturwissenschaften sowie den Technik-Berufen differenziert werden. Der Mangel in den Ingenieurwissenschaften ist nicht neu. Unter anderem aus diesem Grund wurden vor 40 Jahren die Fachhochschulen gegründet. Hier hat auch die Bologna-Reform keine Abhilfe geschaffen. Solange es gesellschaftlich akzeptiert ist, dass Informatik, Maschinenbau, Chemie und Physik nur etwas für weltfremde Nerds ist und Hochschulen versuchen müssen, eklatante Lücken im Schulwissen zu schließen, wird sich dieser Mangel eher noch verschärfen.
Bachelor, die nach ihrem Abschluss erst einmal Berufserfahrungen sammeln, können später immer noch entscheiden, ob sie nach einiger Zeit einen Master-Studiengang beginnen möchten. In einigen Fällen unterstützen Firmen ein berufsbegleitendes Master-Studium. Die Nachfrage nach Studienangeboten, die eine berufsbegleitende Weiterqualifizierung ermöglichen, wird zukünftig steigen.
Fazit: Der Bachelor ist besser als sein Ruf. In den MINT-Fächern haben Absolventen mit Bachelor vergleichsweise gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, und es steht ihnen ein breites Angebot an weiterqualifizierenden Master-Studiengängen offen. Mehr Wahl als Qual.