Einen 40-Stunden-Job haben wohl die wenigsten Anwälte. Oft werden die Abende lang und auch das Wochenende muss herhalten. Gerade Anwältinnen fällt es schwer, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Gut, dass es immer mehr Kanzleien gibt, in denen Teilzeit und Karriere keine Gegensätze sind.
Britta Paschhoff hat gerade die Nachlassregelung für einen Mandanten abgeschlossen, als ihr Handy klingelt. Ihre vierjährige Tochter Mirja hat Fieber und kann nicht länger im Kindergarten bleiben. Sie greift zum Telefon, sagt ihrem Kollegen Bescheid und packt ihre Tasche. Familie hat bei ihr immer oberste Priorität.
Erfolgreich als Anwältin in renommierten Kanzleien arbeiten. Fälle, Familie, Freunde und Freizeit unter einen Hut kriegen: Für viele Juristinnen, die sich Kinder wünschen oder eine Familie gegründet haben, klingt das wie ein Traum. Die Realität sieht für die meisten Anwältinnen anders aus: Wer in einer Großkanzlei wirklich Karriere machen möchte, arbeitet oft rund um die Uhr. Mails werden beantwortet, wenn die Kleinen im Bett liegen.
Bislang haben nur wenige Kanzleien die Zeichen der Zeit erkannt und steuern gegen. Laut Zukunftsstudie des Deutschen Anwaltvereins bieten lediglich 54 Prozent Teilzeitmodelle an. Und das, obwohl knapp 70 Prozent der Großkanzleien in den kommenden fünf Jahren mit einem steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Juristen rechnen. Im Wettbewerb um den besten Nachwuchs sind Teilzeitmodelle aber ein wichtiger Bestandteil der Arbeitgeberattraktivität. Mehr und mehr namhafte Kanzleien orientieren sich deswegen um, setzen sich für die Bedürfnisse von Müttern oder Vätern ein und fördern die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter.
Schon heute ist jeder dritte Anwalt weiblich. Der Frauenanteil bei den Advokaten hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Wir können und wollen auf unsere kompetenten und gut ausgebildeten Kolleginnen einfach nicht verzichten und setzen deswegen auf ein Höchstmaß an Flexibilität, sagt Dr. Christian Löhr, Partner, Rechtsanwalt und Notar bei Kümmerlein in Essen. Für uns ist das ein Geben und ein Nehmen. Mütter, die bei uns arbeiten, sind ganz klar Leistungsträger, auf die wir nicht verzichten wollen.
Von den zwölf bei Kümmerlein tätigen Anwältinnen sind aktuell drei Mütter, Britta Paschhoff ist eine von ihnen. Die 38-jährige Expertin für Zivil- und Handelsrecht arbeitet 24 Stunden in der Woche, einen Tag voll und drei Tage halb. Nach zwei Babypausen hat sie den Wiedereinstieg geschafft, pendelt aus der Nähe von Wuppertal nach Essen. Mir ist es wichtig, dass ich in meinem anspruchsvollen Job weiterarbeiten kann und gleichzeitig noch genug Zeit für die Familie habe, erklärt Paschhoff. Mit dem von mir gelebten Modell habe ich nie das Gefühl, dass alles zusammenbricht. In der Kanzlei kennen sich die Partner und Kollegen untereinander gut, auf Zusammenhalt wird viel Wert gelegt. An den meisten Fällen arbeiten die Anwälte im Team, mindestens zu zweit. Damit ist stets ein kompetenter Ansprechpartner für die Mandanten verfügbar.
Auf dieses System verlässt sich auch Dr. Ingrid Kohlmann. Von Köln aus pendelt die Anwältin für Arbeitsrecht an vier Tagen in der Woche nach Essen. Ein schlechtes Gewissen kennt die 37-jährige Mutter von zwei Kindern nicht. Sie kann auf Verständnis und Unterstützung bei Kollegen und Klienten setzen. Für meinen Chef, selbst Vater von drei Kindern, nimmt die Familie die höchste Priorität ein. Auch unsere Mandanten nehmen diese Werte positiv wahr und verstehen, wenn wir nur zu gewissen Zeiten erreichbar sind.
Die Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler wurde bereits mehrfach für ihre Vorreiterrolle in puncto Vereinbarkeit von Beruf und Familie ausgezeichnet. Neben Teilzeitangeboten und finanzieller Unterstützung bei der Betreuung gibt ein voll ausgestattetes Eltern-Kind-Arbeitszimmer, das alle Mitarbeiter bei Bedarf nutzen können.
Auch Großkanzleien können familienfreundlich sein, so wie Rödl & Partner: Wie Insider bestätigen, wird die Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, hier auch gelebt. Teilzeit ist auf allen Ebenen möglich, diverse Teilzeit- und Home-Office-Modelle stehen im Angebot. Seit 2004 gibt es eine kanzleieigene Kinderkrippe.