Bionik-Ingenieur: Die Natur als Vorbild

Genial, recyclebar und immer überraschend sind die Erfindungen der Natur. Kein Wunder, dass die Industrie zum Nachahmer wird. Doch kein Reifen haftet so gut wie ein Baumfrosch auf dem Blatt, kein Motor kann mit dem Verbrauch eines Kolibris mithalten und kein Lack ist auf Dauer so sauber wie ein Lotusblatt.

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Die Bionik übersetzt die Sprache der Natur in Hightech. Sie ist die Disziplin, die Biologie und Technik miteinander verknüpft. Bereits Leonardo da Vinci ließ sich von der Natur inspirieren. Er beobachtete Vögel, übertrug seine Erkenntnisse auf Flugapparate und gilt heute als Pionier in Sachen Bionik. Das erste offizielle Patent folgte aber erst 1920 mit einem Gewürzstreuer, der das Prinzip der Mohnkapsel nachahmte. Kurz darauf kam der Klettverschluss auf den Markt. Die feinen Widerhäkchen der Samenkugeln der Klettenfrucht standen Modell für den textilen Klettverschluss, der heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist.

Keine Blaupausen

Auch die Automobilindustrie lässt sich von der Natur inspirieren. Übertragen auf die Technik liefert die Bionik ganz neue Lösungsansätze. Ein gutes Beispiel sind Reifen. Zahlreiche Kletterkünstler aus der Natur brillieren mit Haftwerten, von denen Reifenhersteller träumen. So etwa auch der Gecko, der mithilfe Billionen feinster Härchen an den Zehen kopfüber auf einer Glasscheibe laufen kann. Vom südamerikanischen Baumfrosch übernahmen Reifenhersteller das sechseckige Reifenprofil, das für eine optimierte Seitenführung und kürzere Bremswege sorgt. Die Regenwald-Amphibie schafft das Kunststück, mit seinen sechseckigen Zellen an den immer feuchten Füßen selbst auf glatter Oberfläche nicht auszurutschen. Auch Katzenpfoten standen schon Pate für Autoreifen. Stoppt die Katze ihren Lauf, spreizt sie ihre Pfoten. Sie kommt so erheblich schneller zum Stehen. Die Reifenhersteller übernahmen dieses Prinzip und kreierten einen Reifen, der sich beim Bremsen ebenfalls überproportional breit macht.

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Vorbild Spinne

Eines der flexibelsten und stabilsten Materialien aus der Werkstatt Natur ist Spinnenseide. Mit Hilfe verschiedener Mischungen ist es Reifenherstellern gelungen, diese Bauanleitung in die Hightech-Sprache zu übersetzen. Ein anderes Beispiel, sicher eines der bekanntesten, ist der Lotusblüten-Effekt. Er beruht auf der Erkenntnis, dass biologische Oberflächen nie so glatt sind, wie sie das menschliche Auge wahrnimmt, sondern im Nano-Bereich Strukturen aufweisen. Dadurch liegen Schmutzpartikel nur oberflächlich auf. Die geringe Haftkraft sorgt damit für ein sofortiges Abrollen des Schmutzes. Dieses Prinzip 1:1 im Autolack und die samstägliche Fahrt durch die Waschstraße würde der Vergangenheit angehören. Doch die Sprache der Natur auf die Technik zu übertragen, ist alles andere als einfach. Die physikalischingenieurtechnisch geprägten Entwickler und Konstrukteure müssen sich hier mit typisch biologischen Arbeitsweisen auseinandersetzen. Die Bionik hat sich zum Ziel gesetzt, beide Bereiche miteinander zu verbinden.

Hohe Frauenquote

Die Weichen für einen Einstieg in der Bionik können Studenten schon während des Studiums stellen. So gibt es an einigen Universitäten in Deutschland Forschungsschwerpunkte und Fachbereiche, die sich die Bionik auf die Fahnen geschrieben haben. Das Thema Bionik ist in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Studenten gerückt. „Immer mehr Studenten und auch schon Schüler interessieren sich für das Thema“, berichtet Rainer Erb, Geschäftsführer von Biokon. Anders als in den reinen Ingenieurstudiengängen findet man in den Vorlesungen zur Bionik außerdem 50 Prozent Frauen.

Und diese Quote zeigt sich entsprechend auch im späteren Tätigkeitsbereich in der Forschung und in der Industrie. Das Studium der Bionik ist interdisziplinär geprägt. Nicht nur Ingenieure, sondern auch Informatiker, Medizintechniker und Biochemiker bedienen sich bei der Natur. Neben Interdisziplinarität ist eine große Portion Kreativität und Entdeckergeist gefragt. Naturwissenschaftler, Techniker und Anwender agieren gemeinsam, forschen aber von anderen Ansätzen her. Kommunikationsstärke steht deswegen in der Rangliste der Soft Skills auf den vordersten Plätzen.

Enge Verzahnung

Um die einzelnen Disziplinen enger miteinander zu verzahnen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Förderrichtlinie Biona ins Leben gerufen. Biona steht für Bionische Innovationen für nachhaltige Produkte und Technologien. Der hier geförderte Weg von der Biologie in die Technik ist vielfach der übliche Gang. Der kann jedoch auch umgekehrt verlaufen, etwa wenn die Industrie eine Fragestellung in der Entwicklung aufwirft und die Naturwissenschaftler dann nach Lösungen in der Natur suchen.

Dauerbrenner Leichtbau

Ein Dauerbrenner in der Automobilindustrie ist die Suche nach leichteren und dabei trotzdem stabilen Materialien. Die Werkstatt Natur hat die Lösungsansätze Hohlstruktur und Leichtbau auf Lager. Denn weniger Gewicht heißt schnellere Beschleunigung oder auch geringerer Verbrauch. Die Strukturen sind dabei oftmals an Prinzipien aus der Natur angelehnt. Ein typisches Beispiel ist der Baum. An stark belasteten Stellen wird Material hinzugefügt, an weniger belasteten eingespart. Die Verästelung insgesamt sorgt für die nötige Stabilität. Genauso sieht es mit Hohlstrukturen aus, die die Entwickler mit Aluminiumschaum erreichen. Hohlstrukturen finden sich auch in zahlreichen Tierknochen. Sie wiegen wenig und sind äußerst stabil. Eigenschaften, die im modernen Fahrzeugbau beliebt sind.

Die Bionik ist ein Forschungsfeld mit Zukunft. Für Studenten und Absolventen bieten sie viele spannende Herausforderungen. Viele Anforderungen der Zukunft können mit Bionik gelöst werden. Und dann gibt es vielleicht eines Tages einen Motor mit dem Verbrauch eines Kolibris. Der kleine Flug-Künstler aus Amerika fliegt 800 Kilometer weit an einem Stück – mit zwei Gramm Nektar im Tank. 

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